Die Vernunft bleibt auf der Rennstrecke

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Lieber Pirmin Jäger,

wir kennen uns ja schon eine Weile, so dass ich mir erlaube Dich zu duzen. Es ist so, wie Du schreibst. Die Anwohner der Habenschadenstraße haben sich mit einem Problem an den Gemeinderat gewandt: Rennradler*, die in einem irrwitzigen Tempo über Heilmannstraße, Kirchplatz und Habenschadenstraße zur Hochleite fahren. Niemand davon muss diese Strecke nutzen, um zur Arbeit zur fahren oder Einkäufe zu erledigen. Es geht nur um Freizeitgestaltung. Aber anders, als man es erwarten möchte, sind diese Radfahrer in ihrer Freizeit keine entspannten und vergnügten Zeitgenossen.

Ich habe selbst erlebt, wie Rennradler im Tour-de-France-Trikot beim Deutsch-Französischen Freundschaftsfest – trotz am Boden ausliegender Leitungen und zahlreichen, umherlaufenden, kleinen Kindern – die Schilder ignorierten, die zum Absteigen aufforderten. Von einem Ordner höflich (!) zur Ordnung gerufen, kamen höchst unfreundliche Worte und Gesten als Antwort. Man erzählte mir, dass diese Radler einen Computer haben, der ihre Zeit misst und vergleicht. Diese Menschen haben den Leistungsgedanken sogar für ihr Vergnügen verinnerlicht. Und bei solchem Vergnügen hört der Spaß auf!

Was macht man als Gemeinderat, wenn BürgerInnen mit einem Problem kommen? Man versucht zu helfen. Aber wie hilft man, wenn diejenigen, die das Problem verursachen auswärtige Freizeitrennradler sind, die den Ort rücksichtslos als Rennstrecke missbrauchen? Wir haben das diskutiert. Hinweisschilder und freundliche Appelle mussten wir leider als unwirksam ausschließen. Es blieben also am Ende nur Schikanen, die den Radlern anzeigen sollten, dass sie sich nicht auf einer Carrerabahn befinden.

Eigentlich war der Vorschlag an all den Stellen, wo sich jetzt Schwellen befinden die Straße mit einer sogenannten Aufpflasterung zu versehen. Das sind Schwellen, die eine Kreuzung oder ein Stück Straße etwa auf Gehsteigniveau anheben. Die Oberfläche besteht aus Pflastersteinen. (Mehr dazu findest Du auf Wikipedia unter „Aufplasterung“.) Diese Schwellen sind wirksam gegen Rennfahrer auf zwei und vier Rädern. Aber jede bauliche Maßnahme ist teuer und kostet vor allem Zeit! Wir wollten die AnwohnerInnen in der Habenschadenstraße nicht mit Zukunftsmusik vertrösten, sondern möglichst schnell zeigen, dass wir auf das Problem reagieren. Weil an der Kreuzung Jaiserstraße und Habenschadenstraße in einigen Jahren ohnehin gebaut werden muss, wäre es noch dazu eine Geldverschwendung gewesen jetzt dort Aufpflasterungen anzubringen.

Die angebrachten Schwellen sind deshalb ein Zeichen, ein Kompromiss und ein Test. Anders gesagt, sie sind nicht ideal, aber eben besser als nichts. All Deine Vorschläge: Tempo 30 im ganzen Ort, autofreies Ortszentrum und Fahrradstraßen sind sympathisch. Aber nichts davon löst das Problem der aggressiven Rennradler. Es ist traurig, dass eine Mehrheit, die sich vernünftig und anständig verhält, unter dem Egoismus einer Minderheit leidet. Und es ist zum Haare ausraufen, dass die Anständigen dann auch noch unter den Maßnahmen leiden, die die Egoisten einfangen sollen. Aber wir können ja auch schlecht darauf warten, dass diese Menschen von alleine gescheiter werden.

Wir bräuchten keine Maßnahmen, wären alle bereit auch mal von sich abzusehen und mit Verständnis für und Rücksicht auf andere zu handeln. Und das gilt nicht nur in der Habenschadenstraße.


Holger Ptacek
, Gemeinderat

* Nicht gegendert, weil nach eigener Beobachtung nur Männer.